Begegnung im Mondschein

Es war eine klare Juninacht. Am Tag war es unerträglich heiß und schwül gewesen, doch mit der einsetzenden Dämmerung zog eine erfrischende Brise auf. Beinahe wäre ich auf dem Sofa mit dem einseitigen Gedröhne des Fernsehers eingeschlafen, aber das Gekläffe zweier Hunde auf der Straße weckte mich. Ich wollte noch nicht schlafen gehen, also beschloss ich, einen kleinen Spaziergang zu machen.

Wie gewohnt verließ ich das bereits schlummernde Dorf auf dem schnellsten Weg und konnte kilometerweit über grüne Felder und Wiesen blicken, dahinter in der Ferne der Wald. In der Luft lag der undefinierbare, aber angenehme Geruch, den es hier nur im Sommer gibt.

Es war dunkel geworden, das letzte Glühen der Sonne am Horizont war verklungen, und hinter der einzigen Wolke schob sich der beinahe volle Mond hervor. Vor dem dunkelblauen Himmel sah ich die Konturen vorbeifliegender Fledermäuse. Sonst war niemand hier, nur ich. Man amüsierte sich wohl in den Diskotheken, von denen eine mit ihren Scheinwerfern weit hinten hektische Muster in die Lüfte malte.

Erst dachte ich, ich würde mich täuschen, als ich auf dem Weg vor mir jemanden aus der Dunkelheit auftauchen sah. Kam er auf mich zu, oder ging er von mir weg? Ich blieb stehen, und er schien dasselbe zu tun. Ein Schaudern durchfuhr mich. Wir standen dort mindestens eine Minute, ohne uns zu bewegen. Schließlich tat ich den ersten Schritt und ging weiter. Ich näherte mich meinem Gegenüber und konnte schließlich eine junge Frau darin erkennen.

Wir wurden langsamer, blieben aber nicht stehen. Sie hatte schulterlanges dunkles Haar, in dem der seichte Wind verspielt wehte. Im fahlen Mondlicht sah ich, wie wunderhübsch sie war. Ich dachte darüber nach, sie anzusprechen, doch ließ den Gedanken schnell wieder fallen. Als wir schon beinahe aneinander vorbei gegangen waren, drehte sie sich zu mir um, kam näher und sagte nichts weiter als „Morgen wieder!“. Eine Antwort brachte ich nicht heraus, ich konnte nur verlegen nicken. Ihr Atem auf meiner Haut und ihr wunderbarer Duft ließen ein intensives Kribbeln durch meinen Körper fahren. Wie in Trance tappte ich weiter durch die Nacht, und als ich mich nach ihr umdrehen wollte, konnte ich sie schon nicht mehr sehen. Was geblieben war, war immer noch ihr Duft, den ich wohl nie vergessen werde.

Was aus mir und ihr geworden ist? Ich habe sie nie wieder gesehen — den nächsten Abend verbrachte ich mit meiner Frau und unseren drei Kindern.

Gekocht am 29. April 2006.
Zuletzt aufgebraten am 18. Mai 2014.