Ghalerius Maximus (Teil 2)

Die nächste Etappe der Reise führte die zwölf Männer und ihre menschliche Fracht den Jordan hinab bis ins Tote Meer und ließ hasserfüllte Langeweile sowie cholerische Kleptomanie in ihnen aufblühen. Nur dem Zenturio Ghalerius war es zu verdanken, dass zumindest noch sieben von ihnen die Ankunft am südlichen Ufer des Sees miterlebten. Die Übrigen flüchteten in euphorischem Verfolgungswahn mit völlig wertlosen gestohlenen Eichenholz-Madonnen von Bord und paddelten in einem kleinen Rettungsboot hektisch dem Sonnenaufgang entgegen.

Der Bordgeograph Gorbrecht Kesselknecht errechnete eine zweihundert Kilometer lange Wanderroute durch das Landesinnere, die zur südlichen Spitze des Golfs von Akaba führte. Da das in Einzelteile zerlegte Schiff unmöglich von nur sieben Männern durch das gebirgige Gelände getragen werden konnte, fasste man den Entschluss, nur das Nötigste mitzunehmen und im Hafen von Elat den goldenen Kerzenständer von Tyrannäus — ein kostbares Artefakt, das der Zenturio einst dem Präfekten Gaius Pontus Hyplodikus II persönlich weggenommen hatte — gegen ein neues Schiff einzutauschen.

Es dauerte vier lange Wochen, bis die ausgehungerte Besatzung das ständig von Erdbeben heimgesuchte Gebiet durchquert hatte. Der verwahrlosten heiligen Prostituierten Anna McKiwitz, die den schroffen Umgangston nicht länger ertragen konnte, gelang es mehrfach, sich aus ihrer Holzkiste zu befreien und zu flüchten, aber da die Integralrechnung noch nicht erfunden war und sie schon nach wenigen hundert Metern von hysterischen Schreikrämpfen überfallen wurde, kehrte sie jedes Mal zur gierigen und partiell verachtenswerten Mannschaft des Zenturios zurück.

In Elat angelangt bestand der Schiffsarzt Romulus Müller darauf, ein paar Tage in der Stadt zu verweilen, um Leib und Seele mit östlichen Köstlichkeiten und sanften Geigengesängen zu kurieren. Der erste Offizier Diethelm erklärte sich dazu bereit, seinen Kameraden ein Stück dieser Kultur und ihrem Glauben nahezubringen, denn er hatte sich durch Briefkorrespondenz mit einigen tibetanischen Mönchen für zwölf Jahre als Fremdenmissionar verpflichtet. Als der Zenturio ihn durch einen geschmeidigen Schachzug zu durchschauen vermochte, verfasste er wutentbrannt ein Schreiben an den Kaiser, um ein Disziplinarverfahren gegen ihn eröffnen zu lassen. Zu gern hätte er die Faust der Gerechtigkeit an Ort und Stelle auf ihn herabschlagen lassen, aber er staute seinen Ärger auf und entlud ihn schließlich in einem kleinen Fischergeschäft, das er zornig und trübsinnig in einem Wirbel roher Gewalt mit bloßen Händen zermalmte.

Gekocht am 14. Oktober 2006.


Alle Texte in dieser Reihe

  • Teil 1
    diagnostiziert am 2. Oktober 2006
  • Teil 2
    diagnostiziert am 14. Oktober 2006
  • Teil 3
    diagnostiziert am 24. Oktober 2006
  • Teil 4
    diagnostiziert am 7. November 2006
  • Teil 5
    diagnostiziert am 2. Dezember 2006