Ghalerius Maximus (Teil 5)

Nun begaben sich der Zenturio und seine Mannschaft mit ihrer Galeone langsam in ein Gebiet, das niemand an Bord kannte, nur der weitgereiste Navigator Kuno Knorrenfieber-Henkelstett wusste noch über die gefährlichen Strömungen bescheid. Gnadenlose Wellen drohten das Schiff an den scharfkantigen Felsen aufzuschlitzen, doch dank seiner Visionen erahnte er, dass der Schlüssel zur sicheren Vorbeifahrt in der untersten Schublade seines Birkenstock-Reisekoffers lag. Dort bewahrte er nämlich seine Karten auf, und weil die Geschichte diesen erstaunlichen Zufall erfordert, befand sich darunter auch eine Karte dieser gefährlichen Küstenregion. Dieser Karte entnahmen sie, dass sie immer nur geradeaus steuern mussten und so mühelos in der nahegelegenen Stadt Hurghada ankommen würden. Und so geschah es.

Da sie nun am Ende der Karte und ihrer Vorräte angekommen waren, machten sie Halt in diesem äußersten Außenposten des Westbabylonischen Reiches, das von Fridolin dem Zigeuner vor vielen Wochen gegründet worden war (es waren genau neun) und sich nun in seiner Blütezeit befand. Es war eine Stadt der Künste und der Musen, in der Aristokratie und Neoliberalismus friedlich koexistierten. Darum war sie besonders unter alleinstehenden Malern und Schlossern ein beliebtes Reiseziel.

Auf dem Marktplatz vor dem Bartholomäustempel herrschte gähnende Leere, was darauf zurückzuführen war, dass an diesem Tag kein Markt abgehalten wurde. So begab sich der großmütig gestimmte Zenturio Ghalerius in die nächste Taverne, um seine Mannschaft auf einen Fruchtsaft einzuladen. Zufällig hörte er, wie zwei Händler darüber sprachen, wie sie ihre Ladung abgelaufener Schiffsvorräte loswerden könnten, ohne gegen die äußerst strengen Umweltvorschriften zu verstoßen. Der Zenturio erinnerte sich an seine Ausbildung an der Pythagoreischen Militärakademie zu Athen, wo er gelernt hatte, wie man mit Hilfe von Lebertranoxid verdorbene Lebensmittel wieder genießbar machen kann. Im Besitze dieses Wissens bot er den Händlern an, die Entsorgung zu einem unschlagbaren Preis für sie zu übernehmen. Von dem Gewinn erstand er nun eine Tasse Lebertran sowie eine Schachtel Oxid, so dass sie für die nächsten Wochen vollends versorgt waren und weiterfahren konnten, immer der Küste entlang nach Süden.

Nach einigen Tagen erreichten sie eine gewaltige Absperrkette, die sich scheinbar endlos durch das Wasser erstreckte. Um nicht zu weit auf das Meer hinausfahren zu müssen, denn der Zenturio litt unter der berüchtigten Marophobie, beschloss man eine Durchfahrt zu suchen. Ohne es zu wissen, hatten sie die Grenzen des Königreichs des Mondgesichts überquert. Die dort herrschenden Minoer gründeten ihre Herrschaft auf der Züchtung von Seeungeheuern, die sie zur Verteidigung ihrer Grenzen einsetzten. So dauerte es nicht lange, bis sich acht Tentakel, jedes von der Dicke eines Baumstamms, ringsum aus dem Wasser erhoben und ein schmächtiger Reiter ihnen von seinem Sattel auf einem der Tentakel herab mit dünner Stimme befahl, dem Ungeheuer ein menschliches Opfer darzubringen. Anderenfalls würde das Schiff mit Mann und Maus auf den Meeresboden gezogen, der bereits mit Schiffswracks übersät war. Der Zenturio stand nun vor der schwierigen Aufgabe, einen aus seiner Mannschaft auszuwählen, den er opfern wollte. Es bot sich zwar die heilige Prostituierte Anna McKiwitz an, denn sie war aufgrund ihrer Behausung des Lebens überdrüssig geworden, aber schließlich kam dem Bordarzt Romulus Müller die Idee, die Leiche des jetzt nicht mehr grundlos dahingeschlachteten Obermaats Bonzen-Django als Opfer darzubieten. Schnell holte man das Fass Rum, in das er eingelegt worden war, aus dem Lagerraum, öffnete es und schüttete den Inhalt über Bord. Das Seeungeheuer prüfte das Opfer skeptisch, aber als es einmal angebissen hatte, begann bereits der Alkohol zu wirken, und kurze Zeit später taumelte es gurgelnd zurück in die Tiefen des Meeres.

Somit überwanden der Zenturio und seine mehr oder minder treue Gefolgschaft auch dieses Hindernis, und von ihrem Ziel, dem Dreieck von Madagaskar, trennten sie nur noch ein paar tausend Kilometer.

Gekocht am 2. Dezember 2006.
Zuletzt aufgebraten am 12. Mai 2014.


Alle Texte in dieser Reihe

  • Teil 1
    diagnostiziert am 2. Oktober 2006
  • Teil 2
    diagnostiziert am 14. Oktober 2006
  • Teil 3
    diagnostiziert am 24. Oktober 2006
  • Teil 4
    diagnostiziert am 7. November 2006
  • Teil 5
    diagnostiziert am 2. Dezember 2006